Haunted
Ich kann seit Tagen dieses Bild nicht vergessen. Egal, was ich mache, ob ich bei der Arbeit bin, auf dem Nachhauseweg, vor dem Fernseher am Abend oder im Bett kurz vorm Einschlafen, immer wieder drängt es sich mir in das Gedächtnis. Es ist wirklich wie eine Verfolgung, wie eine Heimsuchung, denn das Bild ist alles andere als ein Schönes. Ich sehe Folgendes:
Ein Mensch, so abgemagert und dünn, dass man nicht mehr sehen kann, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt, legt ein Bündel, gewickelt in staubige, graue Tuchfetzen vorsichtig auf den staubigen, trockenen, harten Boden. Er zupft sorgsam noch etwas am Bündel zurecht und erst jetzt wird sichtbar - es handelt sich nicht um ein Bündel Stoff, sondern in den Stoff ist ein Kinderleichnam eingewickelt. Die Beine so dünn wie Holzäste, Körper und Kopf sind verhüllt und man kann sie nicht sehen.
Schon beim Schreiben fühle ich wieder die Wärme und das süße Kitzeln von Tränen in meiner Kehle und hinter meinen Lidern. Das Bild ist einfach zu grausam - ein totes Kleinkind, zur letzten Ruhe "gebettet" von seinem Vater oder seiner Mutter.
Gesehen habe ich es vor drei Tagen, als ich mir die zu Weihnachten gegönnte Live Aid-DVD anschaute. Gerade war David Bowie verklungen, da wurde ein kurzer Film eingespielt, der das Ausmaß und das Elend der Hungersnot von 1984 in Äthiopien zeigte. Obwohl diese Bilder nun schon 20 Jahre alt sind, war ich nicht nur geschockt, sondern richtiggehend getroffen von dem Film, mir strömten die Tränen nur die Wangen herunter.
Vor 20 Jahren habe ich selber nicht viel davon mitgekriegt. Ich war ja damals auch erst 14, 15 Jahre alt. Und die Tragödien des Lebens konnte man als Teenager noch gut verdrängen - oder sie waren überlagert von den "wirklich wichtigen Dingen" wie der unerwiderten Liebe zu Dietmar... Obwohl ich an jenem 13. Juli 1985 auch vor dem Fernseher saß und gemeinsam mit Millionen anderen Live Aid verfolgte, kann ich mich an diese Filmeinspielung nicht erinnern.
Nun bin ich 20 Jahre älter, habe schon mehr im Leben gesehen und erlebt und bin anders als damals. Ich habe meine Ausbildung abgeschlossen und Kinder. Aber die Hungersnot, die ist immer noch dieselbe geblieben wie damals. Nun wütet sie nicht mehr in Äthiopien, aber im Sudan sterben dafür jeden Tag Menschen. Geändert hat sich also gar nichts.
Dass mich dieses Bild besonders anrührt, hat sicher damit zu tun, dass es mir besonders leicht fällt, mir vorzustellen, mein eigenes Kind zu verlieren. (Nein, das ist eigentlich unvorstellbar, und der Schmerz kaum auszuhalten!) Und beim Schauen des Kurzfilms war mir so bewusst - diese Menschen sind heute ALLE tot! Diese Kinder hatten keine Chance. Und wir sitzen hier mit unseren kleinen Problemen, mit unserem gemütlichen Leben, in dem wir 700 Euro im Monat für die Kindergartenbespielung unserer Kinder ausgeben, naschen vor dem Fernseher mal eben eine Tüte Erdnüsse, verqualmen 25 Euro die Woche und und und... Ich fühle mich beschämt...
Nicht nur für meine eigenen Unzulänglichkeiten schäme ich mich. Auch dafür, dass auf der Erde eine Milliarde Menschen mit weniger als 1 Euro pro Tag auskommen - und die EU jede verdammte europäische Kuh mit 2,50 Euro pro Tag subventioniert. Wo ist das gerecht, wo ist das überhaupt noch menschlich?
Ich will was ändern!
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